Besuch im High-Tech-Land Südkorea

Im Rahmen eines vom Kultusministerium Baden-Württemberg organisierten Lehreraustauschprogrammes hatte Frau Jessica Graf, Elektrotechnik-Lehrerin an der Georg-Kerschensteiner-Schule Müllheim, die Gelegenheit, einen Einblick in das südkoreanische berufliche Bildungssystem zu erhalten.

Wenn man an Südkorea denkt, denkt man an Kimchi, die Konflikte zu Nordkorea, High-Tech, Samsung, Hyundai, hervorragende Ergebnisse in schulischen Vergleichstests und vielleicht auch an schulischen Drill mit vielen privaten Nachhilfeinstituten, aber stimmt das denn alles? Zweifelsfrei: ein Mittag- oder Abendessen ohne Kimchi ist in Korea eher selten, aber es gibt ja auch sehr viele verschiedene Arten des bekannten, vergorenen Kohls. Ansonsten findet man ein sehr gut strukturiertes Land vor, in dem kein Zug oder Bus auch nur eine Minute zu spät kommt, überall schnelles, mobiles Internet zur Verfügung steht und die Digitalisierung wesentlich weiter vorangeschritten ist als in Deutschland. Hier spricht man nicht mehr vom Internet als „Neuland“. Südkorea hat sich in wenigen Jahrzehnten zu einem High-Tech-Land entwickelt und einige bekannte Firmen haben ihnen Ursprung in dem kleinen, asiatischen Land.

Jedoch profitiert nicht jeder von diesem enormen Aufschwung und gut bezahlte Arbeitsplätze sind hart umkämpft. Das führt dazu, dass die Schülerinnen und Schüler schon in jungen Jahren das Ziel haben, „es in Seoul zu schaffen“ und einen der begehrten Jobs in den angesehenen Firmen zu erhalten. In Südkorea trifft man daher auf sehr motivierte Schülerinnen und Schüler, die häufig bereit sind, neben ihrem langen Schultag ihr Abendprogramm durch Lektionen an privaten Nachhilfeinstituten zu ergänzen.

Ein koreanischer Schultag beginnt in der Oberstufe meist um 8.00 Uhr und endet täglich nicht vor 16.30 Uhr. Danach beginnt das Nachmittagsprogramm, in dem die Schülerinnen und Schüler fast immer Kurse zu bestimmten technischen Fachinhalten besuchen, die besonders von Unternehmen gefragt sind. Die Eltern haben ein starkes Interesse daran, dass die Schule viele dieser Kurse anbietet, damit ihre Kinder bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und das Angebot dient dabei auch als Entscheidungsgrundlage für die Schulwahl.

An der Seoul-Robotics-High-School, eine der beiden Schulen, die ich während meines Aufenthalts besucht habe, hat mich die Anzahl an Räumen beeindruckt, in denen die Schülerinnen und Schüler (meist ohne Aufsicht durch eine Lehrkraft) Roboter, Drohnen oder auch SPS-gesteuerte Industrieanlagen programmierten. Beeindruckt hat mich dies vor allem, da die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler im regulären Unterricht meist darin bestand, den Aussagen der Lehrkraft zu folgen und sie dabei eine sehr passive Rolle einnahmen. Diese Passivität in ihrer extremsten Form ist in Stunden zu beobachten, in denen 80% der Schülerinnen und Schüler schlafend auf dem Tisch liegen, was die koreanischen Lehrkräfte meist nicht stört, da dies, aufgrund der generell fehlenden mündlichen Leistungen, das Unterrichtsgeschehen nicht weiter beeinflusst. Unterrichtsstörungen (sofern man das Schlafen im Unterricht nicht als solche betrachtet) konnte ich in den drei Wochen keine beobachten. Die Schülerinnen und Schüler verneigen sich vor den Lehrkräften zur Begrüßung (auch auf dem Flur) und sorgen, ohne Aufforderung, für ein sauberes Klassenzimmer und den reibungslosen Ablauf und Beginn des Unterrichts. Höflichkeit ist definitiv eine Tugend, die die Koreaner als bedeutsam empfinden und diese auch durch ständige Ausübung beherrschen.

So sehr ich mir manchmal beim Anblick eines chaotischen Klassenzimmers genau dieses Verhalten von deutschen Schülerinnen und Schülern wünsche, so sehr würde ich auch die aufgeweckte Art, das kritische Hinterfragen, die interessanten Erzählungen unserer Schülerinnen und Schüler und auch das aktive Unterrichtsgeschehen vermissen. Der Versuch, in koreanischen Klassen schüleraktiven Unterricht zu gestalten, erwies sich als große Herausforderung. Die Schülerinnen und Schüler sind es nicht gewohnt, Ergebnisse zu präsentieren, begründet Stellung zu beziehen oder gemeinsam mit ihren Mitschülern Ergebnisse zu erarbeiten und waren dabei sehr unsicher. Dies erlebe ich in vergleichbaren Klassen in Deutschland anders.

Was nehme ich demnach aus meinem dreiwöchigen Besuch in Südkorea mit: Ich habe viele herzliche, weltoffene und nette Menschen kennengelernt, die sehr stolz auf ihre Kultur und die Entwicklung ihres Landes sind. Mein Eindruck war, dass dieser Stolz und vielleicht auch die Überzeugung, dass Wachstum und Wohlstand von ständigem Fortschritt und damit auch von harter Arbeit abhängen und nicht von unbegrenzter Dauer sein müssen, die Koreaner antreibt. Dieses Gefühl, etwas erreichen zu wollen, ist ständig spürbar. Jedoch erkennt man an den schlafenden Schülerinnen und Schülern, den vielen schlafenden Menschen in der U-Bahn oder auch den schlafenden Arbeitern und Lehrern an ihren Schreibtischen, dass auch die Koreaner Ruhephasen benötigen und nur begrenzt belastbar sind. Es bleibt kaum Raum für Freizeitaktivitäten oder auch einfach mal Zeit zum Nachdenken. Die Wertschätzung der Bildung von Seiten der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, der Lehrkräfte, aber auch der Institutionen, die so viele Mittel für Räume, Ausstattung und kleiner Klassen zur Verfügung stellen, war schön zu erleben und trägt mit Sicherheit dazu bei, dass Südkorea diesen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erleben konnte und wir nun ein High-Tech-Land vorfinden, von dem wir eines auf jeden Fall lernen können: Bildung wertzuschätzen.

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